Wie findet man als Anfänger die richtige Tai-Chi-Praxis?
Foto links: Tai-Chi für Ausatmer (Quelle: Silke Uglorz), Foto rechts Tai-Chi für Einatmer (Quelle: Pixabay).
Aus meiner langjährigen Erfahrung als Tai-Chi-Trainerin gibt es darauf nur eine Antwort: Indem man seinen Atemtyp kennt und berücksichtigt. Leider wird im Tai-Chi und Qi Gong viel zu wenig über den Atemtyp gesprochen. Das Problem ist: Wenn man nicht auf seinen Atemtyp achtet, kann das das ganze Tai-Chi ruinieren! Deshalb möchte ich in diesem Beitrag etwas mit dir teilen, was oft übersehen wird, aber dennoch entscheidend ist, um echte Fortschritte zu erzielen und die Leichtigkeit und Freude am Üben zu erleben. Ich werde dir zeigen, welche Bedeutung der richtige Atemtyp beim Tai-Chi hat und wie er sich auf die Körperhaltung beim Training auswirkt.
1. Was sind die Atemtypen?
Die Atemtypen wurden Anfang des 20. Jahrhunderts von dem Musiker Erich Wilk (1915-2000) beschrieben und sind heute unter den Bezeichnungen lunarer Einatmer und solarer Ausatmer bekannt. Die so genannten Atemtypen werden in vielen Bereichen wie Tai-Chi, Yoga oder Gesangsunterricht eingesetzt. Lies dazu auch meinen Beitrag über das Atmen im Tai Chi Chuan.
Damit du dich als Tai-Chi-Anfänger von der ersten Stunde energetisiert fühlst, ist eine atemtypgerechte Tai-Chi-Praxis unerlässlich. Deinen Atemtyp kannst du ganz einfach im Internet bestimmen (→ zum Selbsttest).
Vielleicht hast du dich schon einmal gefragt, wie man richtig atmet? Die Atemtypen zeigen, dass es nicht die EINE richtige Methode für alle gibt, sondern dass wir unterscheiden müssen. So braucht der lunare Einatmer viel Sauerstoff, atmet tief in die Brust ein und saugt sich mit frischer Luft voll. Diese lässt er dann sanft wieder entweichen. Was nun dem Einatmer mehr Lebensenergie gibt, bereitet dem solaren Ausatmer große Beschwerden. Denn dieser muss tief aus dem Bauch heraus atmen und fühlt sich dann in seiner ganzen Kraft, wenn er richtig lang ausatmen kann. Das Einatmen geschieht dann wie von selbst.
Zusammenfassend kann man sagen: Im eigenen Atemtyp zu leben bedeutet, in der eigenen Kraft zu sein, z.B. beim Radfahren schnell voranzukommen, ohne zu ermüden. Auch im Tai-Chi und Qi Gong spielt die Art, wie wir uns bewegen und atmen, eine nicht zu unterschätzende Rolle. Schauen wir uns nun die Atemtypen unter diesem Aspekt an.
2. Die Wiederentdeckung der Atemtypen im Tai-Chi
Tai Chi Chuan ist der Oberbegriff für eine Vielzahl von Tai-Chi-Stilen und Richtungen, die sich trotz ihres gemeinsamen Ursprungs hinsichtlich der Atmung, der Körperhaltung und der Bewegungsprinzipien stark unterscheiden. Verschiedene Arten der Atmung hat es im Tai Chi Chuan – so gesehen – schon immer gegeben. Sie sind im Wesentlichen das, was wir heute als Tai-Chi-Stile bezeichnen, z.B. Yang-Stil, Wu-Stil, Chen-Stil, Hao-Stil, Sun-Stil, Lee-Stil und ihre neuen Varianten.
Als ich anfing, mich mit den Atemtypen zu beschäftigen, hörte ich eine Tai-Chi-Praktikerin sagen: „Wenn die Atemtypen so wichtig wären, dann hätten die alten Chinesen das doch gewusst …!“ Ja, sie haben es gewusst! Sucht man aber in den klassischen Tai-Chi-Schriften nach Anweisungen zum Atmen, wird es leider vage.
Kulturübergreifend gibt es eine Vielzahl von Theorien und Methoden zum richtigen Atmen. Ein Beispiel sind die Atemtechniken des Yoga. In Indien wie auch in China waren die Bedürfnisse von Einatmern und Ausatmern durchaus bekannt, wenn auch nicht so genannt und in andere Konzepte integriert, z.B. in die daoistischen Meditationslehren, in die Polarität von Yin und Yang oder in den kleinen und großen Himmlischen Kreislauf. Der deutsche Tai-Chi-Pionier Frieder Anders hat diese Aspekte in seinen Büchern herausgearbeitet und zur Grundlage seiner Vermittlung des Yang-Stils gemacht. Er feiert heute seinen 80. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch!
Eine wichtige Quelle für seine Forschungen war neben seiner langjährigen Erfahrung die Doktorarbeit von Rainer Landmann mit dem Titel Taijiquan: Konzepte und Prinzipien einer Bewegungskunst; Analyse anhand der frühen Schriften (Hamburg 2002). Landmann ist ein Schüler von Martin Bödicker und hat den südlichen Wu-Stil gelernt. Er hat die Bewegungsprinzipien des Tai Chi Chuan aus den frühen Schriften der Tai-Chi-Stile der Chen-, Yang- und Wu-Familie zusammengetragen. Da er offensichtlich selbst Ausatmer ist, gilt seine Sympathie diesem Atemtyp, indem er schlussfolgert:
„(…) dann ergibt sich das Bild einer Gesamtkörperorganisation, bei der sich Kopf, Rücken (zumindest im Bereich der Brustwirbelsäule) und das Gesäß nach oben bewegen, während sich der Bauch, die Schultern, die Ellbogen, die Hüfte und der Damm nach unten bewegen. Insgesamt erhält der Körper dadurch eine Tendenz, sich leicht nach vorn zu neigen. [Hervorh. von mir] Dies erscheint zunächst im Widerspruch zu dem allgemeinen Prinzip der zentrierten Aufrichtung zu stehen (…)“. (ebd., S. 305)
Wie ich im nächsten Abschnitt zeigen werde, bedeutet Aufrichtung für beide Atemtypen etwas anderes und der oben erwähnte Widerspruch lässt sich leicht auflösen.
Auch unter den Tai-Chi-Lehrern kann die Kenntnis des Atemtyps leider nicht vorausgesetzt werden, und es ist nach wie vor so, dass die meisten einfach ihre eigenen Vorlieben unterrichten, ohne genauer hinzuschauen, ob diese für alle ihre Kursteilnehmer geeignet sind. Deshalb möchte ich dich im Folgenden in die Lage versetzen, selbst zu beurteilen, was für deinen Atemtyp geeignet ist und was nicht. Schauen wir uns dazu einige Prinzipien des Tai-Chi genauer an.
3. Die Atemtypen in der Tai-Chi-Praxis (3 Übungen)
Ich möchte dir nun drei Übungsprinzipien aus dem Tai-Chi und Qi Gong vorstellen und mich dabei auf einen Aspekt konzentrieren, der auch für Laien am leichtesten erfahrbar ist: die Bedeutung der „richtigen“ Körperhaltung. Schaue dir dazu das Beitragsbild noch einmal an. Hier siehst du die Atemtypen bei einer vergleichbaren Übung. Links ist eine Ausatmerin und rechts ein Einatmer zu sehen. Links ist die Körperhaltung vorgeneigt, rechts kerzengerade und aufrecht.
Die bei Landmann erwähnte Neigung nach vorne entspricht dem Ausatmer, die kerzengerade Körperhaltung dem Einatmer. Beide Atemtypen richten sich mit Hilfe des Scheitelpunktes (Bai Hui) auf. Der Einatmer hebt den Kopf aktiv nach oben und stützt sich mit den Füßen vom Boden ab. Sein Stand im Tai-Chi entspricht dem Wachstum eines Baumes, der seine Krone in den Himmel reckt. Der Ausatmer dagegen lässt sich auf die Oberschenkel nach unten sinken, während sein Kopf wie an einem unsichtbaren Faden oben gehalten wird. Der Oberkörper ist leicht nach vorne geneigt und das Becken etwas nach vorne gekippt, um den Atem wie mit einer Gießkanne zu verströmen.
Beide Übungsvarianten entsprechen der aktiven Phase des jeweiligen Atemtyps. Diese mag etwas statisch erscheinen, denn um flexibel und beweglich zu sein, bedarf es des Gegenteils: der passiven Phase. Diese zu beschreiben, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Mein Anliegen ist es, dich mit der freien Atmung, der besonderen Energie und der wahren Kraft deines Atemtyps vertraut zu machen. Probiere also die folgenden 3 Übungen aus und entdecke dich selbst neu:
Einatmer | Ausatmer | |
Kopfhaltung | Mit dem Scheitel den Himmel spalten Richte dich auf undhalte deinen Kopf aufrecht. Hebe ihn leicht an, so dass du etwas über den Horizont in die Ferne blicken kannst. | Wie eine Marionette am Faden hängen Richte dich auf und lass deinen Kopf wie an einem unsichtbaren Faden hängen. Schaue leicht nach unten auf einen Punkt, der 15 Meter vor dir auf dem Boden liegt. |
Haltung des Oberkörpers | Den Oberkörper kerzengerade halten Stehe auf den Fersen und richte dich von unten nach oben auf. Die betont aufrechte Körperhaltung erleichtert das Einatmen. | Den Oberkörper leicht vorneigen Stehe tendenziell auf dem Vor- oder Mittelfuß, so dass du leicht nach vorne „kippst“, als würdest du hohe Absätze tragen. Die nach vorne gebeugte Haltung fördert das Ausatmen. |
Stehen wie eine Säule | Arme oben halten Stell dir vor, du umarmst eine Säule. Halte dabei die Arme über Schulterhöhe, offen und rund. | Arme unten halten Stell dir vor, du umarmst eine Säule. Halte die Arme locker und oval auf Brusthöhe. |
Das folgende Video der Taiji Akademie Frankfurt zeigt die Unterschiede der Atemtypen im Tai Chi Chuan im Bewegungsablauf: Das Innere Taijiquan.
In der neuen Online-Akademie von Frieder Anders kann die Tai-Chi-Form des Yang-Stils für beide Atemtypen gelernt werden.
4. Wie du einen passenden Tai-Chi-Kurs findest
Wenn du mit Tai-Chi beginnen möchtest, schaue zuerst nach Kursangeboten in deiner Nähe oder melde dich zu einem Bildungsurlaub an. Wenn möglich, besuche eine Probestunde und schau dir die Rahmenbedingungen an: Ist der Lehrer kompetent? Ist die Atmosphäre im Kurs entspannt und fröhlich? Wie ist der Gesamteindruck? Aber noch wichtiger ist, ob du dich mit dem angebotenen Tai-Chi in deinem Körper wohl fühlst und ob die Anweisungen des Lehrers zu dir passen. Das merkst du wahrscheinlich nicht gleich in der Probestunde, weil du viele neue Eindrücke aufnimmst und die erste Stunde sehr aufregend ist.
Stimmen die äußeren Rahmenbedingungen, dann entscheide dich für einen Anfängerkurs. Er besteht in der Regel aus 10 bis 12 Terminen und du lernst Tai-Chi besser kennen. Beobachte: Welche der oben genannten Übungsprinzipien vermittelt dir dein Lehrer? Passen sie zu deinem Atemtyp? Fühlst du dich dabei wohl? Auch wenn du am Ende des Kurses vielleicht feststellst, dass diese Tai-Chi-Richtung doch nicht zu dir passt, hast du eine neue Kompetenz erworben, mit der du viel besser unterscheiden kannst, was dir gut tut und was nicht. Das hilft dir, beim nächsten Mal den für dich idealen Tai-Chi-Kurs zu finden.
5. Fazit: Atemtypen für besseres Wohlbefinden
Die Atemtypen im Tai Chi bestimmen die gesamte Tai-Chi-Praxis. Mit ihnen kannst du die ganze Bandbreite der positiven gesundheitlichen Wirkungen für dich nutzen und unerwünschte Nebenwirkungen von vornherein vermeiden. Je tiefer du in das Tai-Chi eintauchst, desto wichtiger wird dein Atemtyp, denn er entscheidet darüber, ob dir die fortgeschrittenen Tai-Chi-Techniken gelingen und du mit der Lebensenergie Qi arbeiten kannst. Du wirst mehr Erfolg im Tai Chi haben, wenn du deinen Atemtyp kennst. Ich wünsche dir von Herzen gutes Gelingen!
6. Kostenfreies Workbook: Finde das Tai-Chi, das zu deinem Atemtyp passt!
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