Atmen im Tai Chi Chuan: Die Atemformen (mit Übung)
„Wie soll ich bei den Tai-Chi Bewegungen atmen?“ Diese Frage begegnet mir immer wieder, seit ich Tai Chi Chuan unterrichte. Die Antwort ist alles andere als einfach. In diesem Artikel möchte ich die Atmenformen und die individuellen Atemtypen im Tai Chi beleuchten und ihre Bedeutung für die Praxis herausstellen. Anschließend führe ich dich mit einigen Übungen behutsam an das Thema Atemwahrnehmung heran und gebe dir darüber hinaus weiterführende Lesetipps.
1. Einführung: Atmen im Tai Chi
Wenn es um die Atmung im Tai Chi Chuan geht, stellt sich die Frage: Für welches Niveau ist es sinnvoll, sich im Tai Chi Chuan mit der Atmung zu beschäftigen?
Für Tai-Chi Anfänger gilt: natürlich atmen! 🙂 Mach dir vorerst keine Gedanken über die „richtige“ Atmung während der Bewegungen. Lass den Atem frei fließen! Denn die Tai-Chi Bewegungen unterstützen den Atemfluss ganz von selbst. Zu Beginn deiner Tai-Chi-Reise ist es wichtig, körperliche Verspannungen zu lösen und der Atemmuskulatur mehr Raum zu geben. Die langsamen Formen übst du zunächst einige Jahre ohne bewusste Atmung. Aus eigener Erfahrung kann ich dir sagen: Vorher gibt es viel anderes zu tun! Atemvorschriften würden das Erlernen von Tai Chi eher stören oder sogar behindern.
Tai-Chi Fortgeschrittene, die schon sehr sicher in der langsamen Form sind und lange geübt haben, beginnen die Atmung im Tai Chi am besten mit einfachen Qigong-Übungen, die weniger komplex sind und es dir leichter machen, dich auf die richtige Atmung zu konzentrieren. Denn die Atmung im Tai Chi und Qigong ist vergleichbar und hängt von der Atemform ab. Während der Übungen kann es sogar kurzzeitig zu leichten Verkrampfungen der Atemmuskulatur kommen. Die optimale Dosierung von Ein- und Ausatmung muss erst gefunden werden. Auch hier arbeitet man so lange an den Verspannungen, bis der Atem frei wird. Besonders interessant ist die Atempause, die zwischen der Ein- und Ausatmung liegt. Sie aktiviert deine innere Kraft.
2. Atemform und Atemtypen
Die Atemformen des Menschen sind ein grundlegendes Thema, das jede Atempraxis (Tai Chi, Yoga, Singen etc.) berührt.
Ein- und Ausatmen sind Atemformen, weil sie den Körper formen. Das Einatmen zieht nach oben und öffnet den Brustraum. Das Ausatmen zieht nach unten und verengt den Brustraum. Interessant ist nun, dass die Menschen beim Atmen unterschiedliche Schwerpunkte setzen.
Die Atemformen sind der Oberbegriff. Die individuelle Ausprägung wird als Atemtyp bezeichnet. Hier gibt es den aktiven, lunaren Einatmer und den aktiven, solaren Ausatmer. Das heißt, der eine Typ kann lang und tief einatmen und dadurch seine innere Kraft aktivieren, der andere Typ kann besonders lang und kräftig ausatmen und dadurch seine innere Kraft finden.
Die verschiedenen Richtungen und Stile des Tai Chi Chuan verstärken entweder die Einatmung oder die Ausatmung. Die genannte Veranlagung muss also im Tai-Chi berücksichtigt werden, denn sie hat einen großen Einfluss auf die Körperhaltung und die Bewegungsdynamik im Tai Chi. Wenn du mehr darüber wissen möchtest, dann lies hier weiter.
Den eigenen Atemtyp zu bestimmen, steht also an erster Stelle, wenn es darum geht, einen geeigneten Tai-Chi Stil zu finden. Damit du das Tai-Chi findest, das am besten zu deinem Atemtyp passt, habe ich dir ein kostenfreies Workbook mit wichtigen Informationen zusammengestellt. Mehr dazu unter Punkt 4.
3. Entdecke deine prägende Atemform in der Praxis
Mit den folgenden Übungen kannst du dich selbst ausprobieren und dein prägende Atemform herausfinden. Vielleicht hast du es ja schon immer gewusst, dass du besser einatmen kannst oder dass dir das Ausatmen gut tut. Mit diesen Übungen wirst du mehr innere Gewissheit erlangen.
Die erste Wahrnehmungsübung stammt aus dem Buch „Die Atemformen beim Menschen“ von Marco Gerhards, das 2016 erschien. Er ist Sport- und Gymnastiklehrer und hat Biologische Anthropologie studiert. Außerdem arbeitet er als Körpertherapeut nach der Methode des Body Reading. Sie ist eine Ergänzung zur herkömmlichen Physiotherapie und hilft dir dabei, die emotionalen Hintergründe von körperlichen Beschwerden zu erkennen und aufzulösen. In einer geführten Körperreise werden die Ursachen Schritt für Schritt aufgedeckt und langsam aufgelöst. Ich selbst habe ein Coaching bei Gerhards in Anspruch genommen und ihn als einfühlsamen und kompetenten Therapeuten kennen gelernt.
3.1 Wahrnehmungsübung
Setze dich an einen Tisch und lege deine Hände flach auf die Tischkante. Probiere nun die folgenden Möglichkeiten aus und versuche zu erspüren, bei welcher du dich wohler fühlst. Wann hast du das Gefühl, besser atmen zu können und mehr Kraft zu haben?
Aktives Einatmen
Lege die Hände auf den Tisch und ziehe sie zu dir heran, ohne die Hände zu bewegen. Atme tief ein und spüre die Weite im Brustkorb.
Aktives Ausatmen
Drücke die Hände wieder auf den Tisch und drücke nun von dir weg, als ob du den Tisch wegschieben möchtest. Atme lang aus und ziehe den Bauch ein.
Wie fühlen sich die Übungsvarianten für dich an?
3.2 Atemübung
Auf meinem YouTube-Kanal habe ich zwei Shorts für dich aufgenommen und zeige dir zwei Übungen für aktives Einatmen und aktives Ausatmen, die nicht nur dein Wohlbefinden verbessern, sondern gleichzeitig Stress abbauen.
Aktives Einatmen
Aktives Ausatmen
Du möchtest wissen, was dein Atemtyp mit Tai Chi zu tun hat?
In diesem PDF erhältst du wertvolle Impulse für deine Tai Chi-Praxis – egal ob du gerade erst mit Tai Chi beginnst oder schon fortgeschritten bist. Es lohnt sich!
4. Buchtipps zu den Atemformen
Weitere Informationen und Atem-Übungen findest du in den Büchern von Marco Gerhards. Das ältere Buch von 2016 ist sehr umfangreich mit vielen Übungen und wissenschaftlichen Hintergründen. Das neuere Buch von 2021 ist kurz und bündig geschrieben und veranschaulicht die Atemtypen anhand von Grafiken.
Marco Gerhards: Die Atemformen beim Menschen. Mit 111 Wahrnehmungsübungen, Neue Erde 2016.
Marco Gerhards: Die Atemformen. Praxisbuch. Mit Zeichnungen von Thomke Meyer, Neue Erde 2021.